Wie ausführlicher im Kapitel für Gynäkologen diskutiert und belegt, sind wir der Meinung, dass Schwangere und stillende Mütter EPA und DHA in einer Menge zuführen sollten, dass der von der Natur als Zielwert für den Feten vorgegebene HS-Omega-3 Index® von 8 – 11% erreicht wird. Das wird mit der täglichen Menge von 200 mg DHA, wie es von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird, nur in seltenen Fällen möglich sein. Allerdings sind EPA und DHA auch für die optimale Entwicklung des geborenen Kindes von Bedeutung. Wegen des verkürzten dritten Trimesters, in dem ein wesentlicher Teil des Gehirns aufgebaut wird, gilt dies in besonderer Weise für Frühgeborene.
Untergewichtige Frühgeborene (< 37 Schwangerschaftswoche) haben niedrige Spiegel von EPA, DHA und Arachidonsäure in ihren Erythrozyten, was mit erhöhter neonataler Mortalität und Morbidität assoziiert ist (Fares et al, 2017). Mütter von Babies, die zu klein für ihr Gestationsalter sind, produzieren Milch, die größere Mengen DHA und Arachidonsäure enthält, als Mütter von normalen Babies (Fares et al, 2018). Frühgeborene haben erhöhtes Risiko für bestimmte Erkrankungen, wie bronchiopulmonale Dysplasie, nekrotisierende Enterokolitis und Retinopathie, das zum Teil durch eine Supplementation mit EPA und DHA abgemildert werden kann (Harris & Baack, 2015). Nach Ergebnissen kleinerer Studien werden die Retinopathie der Frühgeborenen und ihre Konsequenzen deutlich abgemildert, wie auch in einer Meta-Analyse gefunden wurde (Khalesi et al, 2018, Vayalthrikkovil, et al, 2017). Eine große Studie mit parenteraler Gabe von omega-3 Fettsäuren zeigte keinen Effekt auf bronchiopulmonale Dysplasie (Collins et al, 2017). Höhere Spiegel von DHA und niedrigere Spiegel von Linolsäure in den ersten Lebenswochen Frühgeborener waren mit einem 4.3 fach niedrigeren Risiko für intraventrikuläre Hirnblutungen, verbesserter Hirnentwicklung und besserem outcome assoziiert (Tam et al, 2016). Eine Cochrane-Analyse von 17 Interventionsstudien mit EPA und DHA Supplementation bei Frühgeborenen fand keine positiven oder negativen Effekte auf anthropometrische oder neurologische Parameter (Moon et al, 2016). Allerdings beugt die Gabe von DHA der späteren Entwicklung von Allergien und respiratorischen Erkrankungen vor (Manley et al, 2011). Kinderärzte empfehlen Babies mit sehr niedrigem Geburtsgewicht die Zufuhr von 18-60 mg/kg/day DHA und 18-45 mg/kg/day Arachidonsäure, wobei höhere Aufnahmen (55-60 mg/kg/day DHA, und 35-45 mg/kg/day Arachidonsäure) günstiger erscheinen (Koletzko et al, 2016). Angesichts der großen inter-indviduellen Variabilität, die zwischen Zufuhr und Aufnahme besteht, und obwohl direkte Studien fehlen, denken wir, dass ein HS-Omega-3 Index von 8 – 11 %, wie ihn auch die Placenta versucht einzustellen, bei Frühgeborenen angestrebt werden sollte. Es handelt sich um den Ausgleich eines Defizits, der nicht anderweitig, wie z.B. durch Muttermilch, geleistet werden kann.
Deutsche Mütter haben in der Stillzeit einen zu niedrigen mittleren HS-Omega-3 Index (5.57+1.39%), wobei der Bereich der Messwert von 2.49–9.24% klar darauf hinweist, dass die individuelle Variabilität der Messwerte groß ist (Gellert et al, 2016). In der Stillzeit halten wir die Bestimmung des HS-Omega-3 Index deshalb für besonders wichtig, um kognitive Leistungen zu ermöglichen und Allergieneigungen zu minimieren.
Mit der Geburt ist der Aufbau des kindlichen Gehirns nicht abgeschlossen, sondern geht in den ersten Lebensjahren weiter, und wird erst etwa in der dritten Lebensdekade abgeschlossen (Brenna & Carlson, 2014). Muttermilch enthält EPA+DHA, wobei die Konzentration von den Spiegeln und der Ernährung der Mutter abhängt (Brenna et al, 2009). Während der ersten sechs Lebensmonate erhalten gestillte Kinder durchschnittlich 1,9 g DHA, während Kinder 0,9 g DHA verlieren, wenn sie eine Flaschennahrung ohne DHA erhalten (Brenna & Carlson, 2014).
Zufuhr von DHA für stillende Mütter steigert dosisabhängig den Gehalt von DHA in der Muttermilch (Brenna & Lapillonne, 2009). Zufuhr von EPA ist deutlich weniger effektiv, während Zufuhr von alpha-Linolensäure ineffektiv ist (Brenna & Lapillonne, 2009). In konsistenter Weise zeigten gestillte Kinder bessere Kognition als Flaschenkinder, was auf die höheren Konzentrationen an DHA im Gehirn gestillter Kinder zurückgeführt wird (Brenna & Lapillonne, 2009). Dies wird durch Befunde aus Interventionsstudien gestützt: In der bisher aussagekräftigsten Interventionsstudie zeigten gesunde, reife Neugeborene, die mit DHA angereicherte Flaschennahrung erhalten hatten, nach 12 Monaten eine bessere Sehschärfe, als vergleichbare Neugeborene, deren Flaschennahrung nicht mit DHA angereichert worden war (Birch et al, 2010). DHA wurde in drei Konzentrationen (0,32, 0,64, 0,96%) gegeben, eine Dosis-Wirkungsbeziehung bestand jedoch in diesem Dosierungen nicht (Birch et al, 2010). Vor dem Hintergrund vergleichbarer Interventionsstudien ist die Empfehlung zur Anreicherung der frühkindlichen Babynahrung mit DHA zu bekräftigen (Koletzko et al 2007, Ryan et al, 2010, Qawasmi et al, 2012, Willatts et al, 2013). Längeres Stillen und höhere DHA-Spiegel in Colostrum sind mit einem höheren Intelligenzquotienten des 5 – 6 jährigen Kindes assoziiert (Bernard et al, 2017). Auf jeden Fall aber gilt: Stillen ist die beste Wahl für Babies. Stillende Mütter sollten > 200 mg DHA/Tag erhalten, um einen DHA Anteil in der Muttermilch von ~0.3% an den Fettsäuren zu erreichen“ (Koletzko et al, 2014). Wir meinen, dass der Erfolg der Supplementation über den HS-Omega-3 Index kontrolliert werden sollte, da stillende Mütter in Deutschland, wie erwähnt, niedrige Werte hatten (Gellert et al, 2016).
Kinder von Müttern mit hohen omega-3 Spiegeln in der Muttermilch entwickeln im späteren Leben weniger Allergien (Warstedt et al, 2015, Rosenlundt et al, 2016). Ähnlich war mit DHA angereicherte Kuhmilch (Pontes et al, 2016). Eine entsprechende Cochrane Analyse fand begrenzte Evidenz, dass prä- oder postnatale Supplementation kindlichen Allergien vorbeugt (Gunaratne et al, 2015). Möglicherweise ist hier die Supplementation in der Stillzeit weniger wirksam als die Supplementation der Schwangeren, die im Kapitel für die Gynäkologen ausführlicher diskutiert wird.
Wenn die werdende Mutter in der Schwangerschaft ihre Ernährung mit EPA und DHA anreichert, verbessern sich Parameter, die komplexe Hirnleistungen anzeigen, wie Sehschärfe, Aufmerksamkeitsspannen, Koordination von Auge und Hand, Problemlösungsverhalten und andere beim Kleinkind. Dies wurde in zahlreichen randomisierten kontrollierten Interventionsstudien mit Dosierungen von 0,13 – 3,3 g EPA+DHA / Tag (zumeist um 2 g / Tag) im Vergleich mit Placebo oder keiner Anreicherung nachgewiesen (Koletzko et al, 2007, Brenna & Lapillonne, 2009, Innis 2014). Die besseren Fähigkeiten des Kindes korrelierten mit (EPA+) DHA Spiegeln der Mutter (wenn erfasst): z.B. wenn Mütter in der Schwangerschaft höhere Spiegel an EPA+DHA hatten, so war der Intelligenzquotient ihrer Kinder im Alter von 7 Jahren signifikant höher (im Vergleich zu Müttern mit niedrigeren Spiegeln, Brenna & Lapillonne, 2009, Helland et al, 2008, Koletzko et al, 2014). Deshalb empfehlen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und andere Fachgesellschaften Schwangeren mindestens 200 mg DHA/Tag zu sich zu nehmen. Das reicht allerdings bei mehr als der Hälfte der Schwangeren nicht aus, um einen HS-Omega-3 Index® zwischen 8 und 11% zu erreichen (Gellert et al, 2016). Da in den genannten Interventionsstudien auch deutlich höhere Dosierungen von den Schwangeren gut vertragen wurden, ist, allein um das Gehirn des Kleinkindes optimal mit EPA und DHA zu versorgen, ein HS-Omega-3 Index® zwischen 8 und 11% sinnvoll.
Sind Kinder nach regulärer Schwangerschaftsdauer geboren, so sind die Daten zu einem positiven Effekt der Omega 3 Fettsäuren EPA und DHA während der Stillzeit und im Kleinkindesalter nicht konsistent. Mehreren Interventionsstudien mit positiven Effekten bei Koordinationsvermögen oder intellektuellen Fähigkeiten stehen mehrere andere Interventionsstudien ohne Nachweis eines Effekts gegenüber (Koletzko et al, 2014). Hier dürften die gleichen Studien-methodischen Probleme wie bei den kardiologischen Interventionsstudien bestehen: Keine Rekrutierung nach Ausgangs-HS-Omega-3 Index®, fehlende Berücksichtigung der Probleme der Bioverfügbarkeit. In der Muttermilch sollte DHA 0.3% erreichen, ggf. über eine Erhöhung der Zufuhr von DHA über die stillende Mutter (Koletzko et al, 2014). Säuglinge sollten 100 mg / Tag DHA erhalten (Koletzko et al, 2014). Bei Frühgeburten sollte die Supplementation mit DHA Gewichts-adaptiert erfolgen. Als Ausweg aus dieser Verwirrung schlagen wir die gezielte Supplementation mit EPA und DHA und einen Ziel- HS-Omega-3 Index® von 8 – 11% vor.
Nur in wenigen Studien sind die Wirkungen von EPA und DHA auf kognitive Fähigkeiten bei Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren untersucht worden. Essen 15-jährige regelmäßig Fisch, so haben sie im Alter von 18 Jahren bessere Schulnoten, als Jugendliche, die keinen Fisch essen (Kim et al, 2010). Unsere eigene Interventionsstudie zum Thema scheiterte an der miserablen Compliance der jugendlichen Studienteilnehmer (van der Wurff, 2016), was ein häufiges Phänomen bei Studien in dieser Altersgruppe ist (van der Wurff, 2017).
Kindliche kognitive Störungen, wie Aufmerksamkeit-Defizit-hyperkinetisches Syndrom (ADHS), Legasthenie, Dyspraxie, oder Autismus sind gehäuft mit niedrigen Spiegeln von EPA+DHA in Schwangerschaft und Stillzeit der Mutter und bei der Erkrankung des Kindes assoziiert (Schuchardt et al, 2010;¸Hawkey & Nigg, 2014; Mazahery et al, 2017). Auch die majore Depression bei Jugendlichen ist mit einem niedrigen HS-Omega-3 Index assoziiert (Pottala et al, 2012). Der aktuelle Stand der weiteren Studien ist ausführlicher im Kapitel für die Kinder und Jugendpsychiater berichtet. Hier sei darauf hingewiesen, dass eine Behandlung mit EPA und DHA bei allen genannten Erkrankungen erfolgsversprechend ist, und HS-Omega-3 Index-gesteuert zielgerichtet erfolgen kann.